
Foto: Archiv für Bau.Kunst.Geschichte
Vom Landhaus zum Gauhaus. Ein Tiroler NS-Bau und seine Geschichte
Erinnerungsarbeit an einem politischen Ort
Von:
Lisa Noggler (Ausstellungskuratorin und Kulturwissenschafterin, Wien/Schwaz), Roland Sila (Leiter der Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum, Innsbruck)
Seit Oktober 2023 wird im Landhaus in Innsbruck eine Ausstellung mit dem Titel „Vom Gauhaus zum Landhaus“ gezeigt, die das Tiroler Regierungsgebäude selbst zum Thema hat. Das heutige Landhaus war 1938/39 als NS-Parteizentrale in Innsbruck errichtet worden. Nachdem die im Vorfeld durch das Land Tirol in Auftrag gegebene Studie zur Geschichte des Baues 2021 publiziert worden war [1], wurde ein künstlerischer Wettbewerb ausgerufen. Allerdings wurde das Siegerprojekt nicht umgesetzt, was zu großen öffentlichen Diskussionen führte. Daraufhin beschloss das Land Tirol, obige Ausstellung umzusetzen, um der Öffentlichkeit das Anliegen der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte zu signalisieren. Mit der Kuratierung wurden die Autor:innen der wissenschaftlichen Studie beauftragt.
Die Ausstellung, die die Geschichte des Landhauses in einen Gesamtkontext rückt, macht den Besucher:innen bewusst, an welchem Ort sie hier stehen. Mit der Fokussierung auf die Geschichte des Gebäudes, auf die in der NS-Zeit hier arbeitenden und Entscheidungen fällenden Personen, wird der Blick auf die Geschehnisse im damaligen Machtzentrum des Regimes gelenkt und in kurzen, informativen Texten der Terrorapparat sichtbar gemacht. Filmsequenzen ergänzen die verwendeten Repros und ermöglichen den Besucher:innen, auf dieser Ebene ebenfalls zur nötigen Information zu kommen. Dies gelingt trotz des knappen Raumes (drei mittelgroße Räume, die z. T. in den vergangenen Jahren als Sitzungsräume bzw. Büros verwendet wurden) sehr gut. Dezent und doch prägnant wird auf den Balkon, auf das ehemalige Gauleiterzimmer, die damalige Einrichtung und auf zum Teil verwischten Spuren – wie zu Kreuzen umgeschnitzte Hakenkreuze – hingewiesen und so eine teilweise Aneignung der Räume durch die Öffentlichkeit unterstützt. Der Gegenwartsbezug gelingt den Kurator:innen mit einer klugen Inszenierung am Ende der Ausstellung, die gut und gern auch die prägende Story Line sein hätte können: In Medienstationen erzählen heutige Landesbedienstete ausgewählte Opfer- aber auch Täterbiografien. Damit gelingt die Erzählung einer individuellen Geschichte, die das Grauen der NS-Zeit spürbar macht. Indirekt glückte damit auch ein Bogen zur Gegenwart, indem sich heute im Landhaus Beschäftigten mit der Geschichte ihres Arbeitsplatzes konfrontieren und ihre eigenen Arbeitsbiografien eine aktuelle Folie für damalige Handlungsspielräume bieten.
Parallel zur Ausstellung im Landhaus wurden die einzelnen Bereiche so gestaltet, dass sie für Schulen online nutzbar sind. Ein gut angenommenes, breites Vermittlungs- und Veranstaltungsprogramm ergänzte den individuellen Besuch der Ausstellung.
Bemerkenswerterweise wird mit Kritik am langjährigen Umgang des Landes Tirol mit der NS-Vergangenheit nicht gespart. Dargestellt wird die vorhandene Elitenkontinuität, die Brüche in den Biografien betrafen in erster Linie die Opfer des NS-Regimes. Im Gespräch stellten die Kurator:innen auch fest, dass von Seiten des Landes keine Vorgaben gemacht wurden und auch keinerlei Abnahme der Inhalte der Ausstellung vor Eröffnung von Landesseite stattgefunden hatte.
Das Ansinnen der Kurator:innen, das Landhaus selbst niederschwellig für eine breite Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wird im Gegenteil jedoch – der Tatsache geschuldet, dass es sich um das oberste Verwaltungsgebäude der Landesregierung handelt – sehr erschwert. Die Vorgaben, um die Ausstellung besuchen zu können, entpuppen sich als beachtliche Hürden. So müssen sich Besucher:innen beim Portier anmelden und sich ausweisen, obwohl der Eintritt ansonsten kostenlos ist. Durch die Präsentation der Ausstellung in den historischen Räumen mit der historisch verbrieften Nutzung ist ein niederschwelliger Zugang im Eingangsbereich nicht möglich. So funktioniert die Präsentation wohl sehr gut bei angemeldeten Gruppen, ist für Einzelbesucher:innen aber weit weniger attraktiv als der Besuch eines klassischen Ausstellungshauses. Die Bewerbung hält sich sehr in Grenzen – sowohl großflächige Plakate noch daraus eventuell folgende Besucher:innenmengen sind im Kontext des Landhauses wohl nicht erwünscht oder praktikabel, wäre aber mutig und zielführend.
Auch wenn die Ausstellung aufgrund der Raumknappheit und des spezifischen Themas eine möglichst breite Aufarbeitung und kritische Hinterfragung der eigenen Geschichte signalisiert und Vermittlungsstationen zur Diskussion einladen, wäre eine deutlichere gesellschaftspolitische Positionierung wünschenswert. Gerade in Zeiten der zunehmenden Radikalisierung und populistischen Ignoranz der politischen Verantwortung unserer Vergangenheit gegenüber wäre es wünschenswert, wenn noch deutlicher würde, wofür nun die Landesregierung steht, die die Ausstellung beauftragt hat. Allerdings ist zu hinterfragen, ob dies Ziel der Präsentation war, womit wir bei einem Grundproblem der Erinnerungsarbeit landen. Es wird glaubwürdig Distanz zum Nationalsozialismus genommen und Erinnerungsarbeit als wesentlicher Baustein, um die Zukunft zu gestalten, beschworen – allerdings die Herstellung eines wie immer gearteten Bezugs zur Gegenwart den Individualbesucher:innen selbst überlassen. Mit dem Einlassen von politisch Verantwortlichen und Beamten auf eine biografische Erzählung historischer Verantwortlicher und Beamter, wäre ein Fenster geschaffen, die Gegenwart noch stärker mit der Vergangenheit zu verknüpfen. Doch besteht wie in allen Erinnerungsprojekten die Gefahr der Historisierung der NS-Zeit. Wünschenswert wäre also, dass gerade im Haus der gegenwärtigen politischen Macht Tirols auch Wege angedacht werden, wie über die Erinnerungsarbeit hinaus Schritte gegen radikale Tendenzen gesetzt werden können – um Erinnerungsprojekte nicht zu Feigenblättern werden zu lassen.
Die Ausstellung wiederum sollte nach Ende nicht abgebaut werden. Sie eignet sich in adaptierter Form sowohl von Inhalt als auch von der Gestaltung für eine Wanderausstellung, die in den Bezirken, Schulen oder Gemeindeämtern gezeigt werden könnte.
Credits und Zusatzinfos:
Fußnoten
[1] Mathies, Christian / Strobl, Hilde: Vom Gauhaus zum Landhaus. Ein Tiroler NS-Bau und seine Geschichte (=Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs 23, Innsbruck 2021.
Empfohlene Zitierweise
Fußnoten
[1] Mathies, Christian / Strobl, Hilde: Vom Gauhaus zum Landhaus. Ein Tiroler NS-Bau und seine Geschichte (=Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs 23, Innsbruck 2021.
Empfohlene Zitierweise
Lisa Noggler, Robert Sila: Vom Landhaus zum Gauhaus. Ein Tiroler NS-Bau und seine Geschichte. Erinnerungsarbeit an einem politischen Ort, in: neues museum 24/4, www.doi.org/10.58865/13.14/244/7.