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Narrative Architekturen
Wir sprechen über die Zukuft

Wie lässt sich Zukunft ausstellen? Kaum etwas treibt Szenograf:innen mehr um als diese Frage. Denn wir leben in einer Gegenwart, die sich rasant entwickelt und die Öffentlichkeit erwartet von Bildungseinrichtungen wie Museen zunehmend eine Antwort auf die vielen komplexen Themen des aktuellen Weltgeschehens. Dabei handelt es sich beim Ausstellen von Zukunft um kein leichtes Unterfangen – schließlich ist das wichtigste Merkmal der Zukunft die Tatsache, dass wir sie nicht kennen und den (noch nicht vorhandenen) Exponaten zudem ein spekulatives und sich wandelndes Moment innewohnt. 

Wie können wir sie also ausstellen? In den meisten Fällen mündet diese Aufgabe in einem neuartigen Ausstellungstypus, der sich vor allem durch eins auszeichnet: dynamische Veränderbarkeit. Denn Zukunft ist gestaltbar. Um Raum für Co-Kreation, Kollaboration und Kommunikation zu ermöglichen, sind also Konzepte gefragt, die nicht nur Denkanstöße geben, sondern mithilfe von Raum, Dramaturgie, Grafik, Medien, Licht, Sound und sogar Gerüchen, Inhalte vermitteln und den Besuchenden eine Bühne bieten für Interaktion und Partizipation. Mit diesen Werkzeugen verfügt die Szenografie wie kaum eine andere Kreativdisziplin über ein vielfältiges Instrumentarium bei der Gestaltung von Raum und vermag es, im Dialog zwischen Architektur und Ausstellung, zwischen Ausstellung und Inhalt, zwischen Inhalt und Rezipient:innen ein Gesamtkunstwerk zu erschaffen, das alle Sinne anspricht.
 

Szenografie: Emotionalisierung von Raum

Mit zwei Zukunftsmuseen beweist das Stuttgarter Atelier Brückner wie szenografische Räume eine wertvolle Kommunikationsbasis bieten können, um das Verständnis und die Diskussion über Zukunft voranzutreiben. Dabei könnten die beiden Museen unterschiedlicher nicht sein: Während das Zukunftsmuseum des Deutschen Museums in Nürnberg mit realen Lösungsansätzen ein Bild der nahen Zukunft zeichnet und mithilfe von interaktiven Denktouren und Mitmachlaboren zum aktiven Dialog und Handeln auffordert, bietet das Museum of the Future in Dubai emotionale Szenerien einer entfernten Zukunft im Jahr 2071, in die Besuchende dank Storytelling immersiv eintauchen können. Dass diese beiden Museen in ihrer szenografischen Ausgestaltung so divergieren, ist nicht zuletzt dem Leitsatz des international tätigen Gestaltungsbüros zu verdanken: „form follows content“ – also der Idee, Gestaltung nicht allein nach funktionalen Gesichtspunkten zu definieren, sondern aus den Inhalten zu entwickeln. Geprägt von Uwe R. Brückner, wird dieses Motto von den fünf Partner:innen Shirin Frangoul-Brückner, Stefanie Klinge, Britta Nagel, Eberhard Schlag und René Walkenhorst konsequent weitergeführt. 

So erklärt Britta Nagel: „Am Anfang jeden Projekts steht eine genaue Analyse der Inhalte, Geschichten und Informationen, natürlich des Kunden und der bereits vorhandenen oder der geplanten Architektur. Auf Grundlage dessen erarbeiten wir dann ein Konzept, das maßgeschneidert auf diese verschiedenen Gegebenheiten eingeht. Ich denke, das ist auch der Grund, warum unsere Ausstellungen so unterschiedlich sind. Zudem versuchen wir, die Projekte dialogisch im Team zu entwickeln: In Kooperation werden die Botschaften und Aussagen erarbeitet, die später die Gestalt einer Architektur oder die Dramaturgie einer Ausstellung bestimmen. Das heißt, es gibt nicht einen Wurf, sondern viele Möglichkeiten, Geschichten unterschiedlich zu erzählen. Hierfür haben wir eine Methodik entwickelt, um mithilfe von Alternativen gemeinsam mit unserem Gegenüber das Beste herauszuholen.“ 
„Aus strategischer Perspektive ist es für uns interessant, zu einem sehr frühen Zeitpunkt in ein Vorhaben einzusteigen“, rundet Stefanie Klinge ab: „Oftmals, bevor es überhaupt einen konkreten Ort gibt. Zusammen mit unseren Auftraggeber_innen entwickeln wir dann aus einer ersten Idee das Selbstverständnis, die Positionierung und dafür das optimale Format. Besonders spannend ist es, wenn wir diesen Prozess auch orchestrieren dürfen – etwa durch moderierte Workshops, an denen sich unterschiedliche Nutzer:innen, Expert:innen oder Interessierte beteiligen und deren Bedarfe abgefragt werden. Das bedeutet, dass wir vor allem zuhören und ganz genau analysieren, welche Möglichkeiten vorhanden sind, um dann im Dialog mit unseren Partner:innen zielführende Wege zu gestalten.“ Das heißt, tragfähige Begriffe, verborgene gestaltungsrelevante „Bilder“ und inhaltliche Querverbindungen werden im Anschluss recherchiert und ein gemeinsamer Nenner – der „Plot“, als roter Faden – definiert, der die Basis jeder Konzeption bildet. Die so entstehende Dramaturgie wird mit gestalterischen Mitteln dann narrativ und sinnlich in den Raum übertragen. Inhalte und Informationen werden zu intensiv erzählten Geschichten, die von den Besuchenden intuitiv, reflexiv oder auch nur spielerisch aufgenommen und verinnerlicht werden.
 
Um dabei dem unterschiedlichen Nutzerverhalten sowie den individuellen Erlebnisweisen der Museumsgäste gerecht zu werden, werden die Rezipient:innen sowie deren Erwartungshaltung, Aufnahmefähigkeit, kognitive Leistungs- und subjektive Wahrnehmungsfähigkeit in den Mittelpunkt aller Überlegungen gestellt. „Wir denken vom Ergebnis her“, bekräftigt Shirin Frangoul-Brückner. „Für uns ist es wichtig, mit unserer Arbeit Zugänge zu schaffen. Und wir stellen uns immer wieder die Frage: Wie können wir die Besuchenden erreichen? Hier verfolgen wir den Ansatz, dass dies am besten über den ersten emotionalen Eindruck gelingt und die räumliche Inszenierung eine der ersten Zugangsebenen ist, die wir den Besuchenden anbieten können“, fügt sie hinzu. „Mithilfe der Szenografie gelingt es uns, die Menschen zu emotionalisieren und damit ein noch intensiveres Erlebnis zu ermöglichen“, unterstreicht Britta Nagel: „Die Emotionalisierung des Raums ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit. Wir arbeiten mit Geschichten und probieren auch immer wieder neue Formate aus, die diese Geschichten optimal transportieren. Das heißt, wir halten nicht an einem klassischen Ausstellungsmodell fest, sondern überlegen jedes Mal aufs Neue: Was lässt sich verändern, verbessern oder erneuern? Sei es zum Beispiel verstärkt mit Menschen als Kommunikatoren zu arbeiten, vielleicht auch mal bewusst auf digitale Medien zu verzichten oder Dauerausstellungen absolut dynamisch zu betrachten. Aktuell merken wir, dass wir Museumsräume viel wandelbarer denken müssen: Inhalte entwickeln sich schneller weiter, der Zeitgeist ändert sich und das Rezeptionsverhalten der Besuchenden ohnehin. Dem müssen wir mit unseren jetzigen und auch zukünftigen Formaten Rechnung tragen.“
 

Konkrete Methodik als Grundlage jeder Narration

So ist auch die Perspektive auf die eigene Gestaltungsphilosophie innerhalb des Atelier Brückner ein viel diskutiertes Thema und Prof. Eberhard Schlag weist in Bezug auf Hybridisierung und Virtualisierung auf künftige Formate hin: „Die Vielfalt an Formaten und Optionen wird immer weiter zunehmen: Neue Technologien, neue Medien, Augmented und Virtual Reality eröffnen uns ganz andere Methoden und eine größere Bandbreite, um Inhalte zu erschließen. Wobei ich nicht glaube, dass sich damit grundsätzlich etwas an unserer Methodik ändern wird, wie wir mit Raum umgehen: Auch ein virtueller Raum ist letztlich ein Raum, der mit unseren Werkzeugen gestaltet und bespielt, der erzählt und choreografiert werden muss. Das heißt, wir haben auf der einen Seite immer mehr Möglichkeiten, auf der anderen Seite lässt sich aber auch beobachten, dass sich nicht nur das Rezeptionsverhalten ändert, sondern dass auch neue, jüngere Zielgruppen hinzukommen, die ein ganz anderes Erlebnis anstreben, die involviert werden, verstärkt partizipieren und die Dinge nicht nur betrachten, sondern sie diskutieren und weiterentwickeln wollen. Hier muss das Museum vielmehr als Plattform für Austausch und Dialog dienen. Dementsprechend werden sich auch die Räume und damit unsere Arbeit und wahrscheinlich auch die Institutionen selbst verändern.“ Und René Walkenhorst ergänzt: „Für die Philosophie von Atelier Brückner  ist es nicht primär wichtig, ob wir im physischen Raum oder für das Metaverse gestalten: Für uns ist nicht die Technologie das Hauptaugenmerk, sondern die Art der Inhaltsvermittlung, die wir mit dem Wissen um diese Technologien natürlich anreichern. Die Qualität, in der wir arbeiten, wie wir Inhalte wahrnehmen, sie übersetzen und vermitteln, wie wir mit unseren Kund_innen darauf eingehen – all das können wir auf sämtliche Formate anwenden. Dabei werden in Zukunft vor allem die mehrschichtigen, hybriden Möglichkeiten spannend sein.“ Stefanie Klinge komplettiert: „Uns geht es bei unserer Arbeit nicht allein um die Gestaltung von Hülle und Inhalt, sondern darum, Raum als Kontinuum zu verstehen – egal, ob dieser als analoge, hybride oder digitale Welt existiert. Denn auch in medial erweiterten Environments ist doch das eigentlich faszinierende Moment die Extension des eigenen, realen und dreidimensionalen Körpers – eine einzigartige Erfahrung, die wir alle kennen, wenn wir Teil einer Inszenierung werden und diese bestenfalls mit anderen kollektiv und in Echtzeit mitgestalten dürfen. Derartige Konstellationen zu komponieren und diese Möglichkeitsräume körperlicher und kognitiver Begegnung zu erschaffen, ist Herausforderung wie Chance zugleich, der wir uns auch zukünftig annehmen wollen.“
 
 

Starker Dialog zwischen den Disziplinen

Dass die szenografische Praxis weit über real-digitale Ausstellungsräume und -inszenierungen hinausgehen kann und auch sollte, ist für Britta Nagel unbestritten: „Es geht darum, zu überlegen, wie sich inhaltliche Strategien auch auf viel größere Strukturen übertragen lassen. Dementsprechend fragen wir uns: Wie kann Architektur und sogar Stadtraum zur Szenografie werden? Und da müssen wir gar nicht zwischen realem und digitalem Raum unterscheiden, sondern übergreifend spannende Konzepte erarbeiten, die wertvolle Lebensräume ermöglichen. Unsere Stärke liegt darin, Raum und Inhalt miteinander kongruent zu vereinen, warum Raum also nicht mal größer bzw. weiterdenken?“ „Szenografie ist die Verschmelzung jeglichen räumlichen Gefüges mit einem inhaltlichen sowie einem funktionalen Gefüge. Uns ist wichtig, Atmosphären zu erschaffen und dies kann im Städtebau genauso funktionieren wie im Museum. Letztendlich geht es um ein Gesamterlebnis“, erklärt Shirin Frangoul-Brückner: „Deswegen empfinden wir es auch als besondere Chance, wenn wir Architektur und Ausstellung parallel entwickeln können und daraus eine Symbiose entsteht, die im Einklang ist. Denn Hülle und Inhalt werden nicht unabhängig voneinander gestaltet, sondern können gemeinsam Geschichten, Botschaften und Ideen formen.“ „Jede Architektur, egal, ob wir sie vorfinden, sie gemeinsam mit den Architekt_innen oder selbst entwerfen, hat Auswirkungen auf die Szenografie, da bestimmte Räume natürlich bestimmte Dinge erlauben – oder eben auch nicht. Es besteht ein starker Dialog zwischen den Disziplinen und oft haben die Räume selbst sogar das größte Inspirationspotenzial. Für mich ist Szenografie eine ganzheitliche Erfahrung und ich schätze sehr, dass wir mit unseren Werkzeugen – Inhalt, Raum, Grafik, digitale Medien, Information on Demand, Klang und Licht – etwas dazu beitragen können, die gewünschte Atmosphäre zu erzeugen, um die intendierten Botschaften zu vermitteln“, bekräftigt auch Prof. Eberhard Schlag und René Walkenhorst fügt hinzu: „Szenografie lebt vom unterbewussten Wahrnehmen: Als Besuchender versetzt mich der Raum in eine Atmosphäre bzw. Stimmung, in der ich Inhalte verstehe ohne mich darauf vorbereitet zu haben. Szenografie hat also eine enorme Kraft und vermag es, Inhalte in mehrere Ebenen zu übersetzen.“
 
 

Neue Erlebnisformen und wirkungsstarke Inszenierungen

Was 1997 in der Hamburger Speicherstadt mit der Ausstellung Expedition Titanic begann und den Grundstein für eine völlig neue Form inszenierter Ausstellungen legte, schrieb 2022 seine 25-jährige Geschichte. Zeit für Müßiggang gibt es im Atelier Brückner  jedoch nicht: Nach dem Museum of the Future in Dubai öffnet das Grand Egyptian Museum in Gizeh als das größte archäologische Museum der Welt seine Tore. Und auch für die Zukunft des Ateliers haben die fünf Partner:innen noch einige Ideen im Ärmel. So beschreibt Shirin Frangoul-Brückner: „Natürlich haben wir Strategien, um uns noch weitere Märkte und Bauaufgaben zu erschließen, aber letztlich können wir sagen, dass es immer unser Ziel bleiben wird, dass wir uns auf anstehende Herausforderungen komplett einlassen und sich unser Team mit Kreativität und Engagement bei jedem Projekt individuell einbringt, um neue Erlebnisformen und wirkungsstarke Inszenierungen zu entwickeln. Ich finde auch spannend zu beobachten, wie Mitarbeitende bei diesem Gestaltungsprozess über sich hinauswachsen, sich extrem weiterentwickeln und sich dementsprechend mit ihrer Arbeit identifizieren können.“ Eberhard Schlag stimmt zu: „Zweifellos gibt es Projekte wie die oben genannten, die uns die Chance geben, etwas Einmaliges zu schaffen. Aber ich kann auch sagen, dass wir auf jedes einzelne, noch so kleine Projekt, das wir in den letzten Jahren realisiert haben, stolz sind.“ René Walkenhorst pflichtet bei: „Wir sind stolz auf die vergangenen 25 Jahre und blicken energiegeladen in die Zukunft. Ich denke, Szenografie wird sich auf jeden Fall dynamisch weiterentwickeln: Da werden Themen wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Stadtraum eine große Rolle spielen. Wir müssen Markt und Weltgeschehen beobachten und uns, egal was wir tun, unser frisches Denken bewahren. Da helfen uns auch unsere jungen Kolleg_innen und die Tatsache, dass wir uns immer wieder aus unserem interdisziplinären Team heraus erneuern: Wir schauen alle gerne über den Tellerrand unserer jeweiligen Profession, sind offen für die Sichtweisen Anderer und bleiben dennoch unserem eigenen Wissen und Verstehen treu. Wir sind hungrig darauf, Zukunft mitzugestalten und unsere szenografischen Ideen, Methoden und Haltungen auch auf zukünftige Arbeitsfelder anzuwenden. Das ist unsere Vision.“

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