Foto: www.kulturpreis.info
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Kulturelle Teilhabe und innovative Preiskonzepte
Einblicke in ein interdisziplinäres Forschungsprojekt
Von: Beate Flath (Teilprojektleitung, Eventmanagement mit den Schwerpunkten Popmusikkulturen und digitale Medienkulturen, Universität Paderborn), Dennis Kundisch (Wirtschaftsinformatik, insb. Digitale Märkte, Universität Paderborn), Nancy V. Wünderlich (Projektleitung, Digitale Märkte, Technische Universität Berlin), Berlin/Paderborn

Bürger:innen mit wenig ökonomischem, sozialem, kulturellem oder symbolischem Kapital haben oftmals nicht die Möglichkeit, am kulturellen Leben vollumfänglich teilzunehmen. Sie sind sogenannte verletzliche Verbraucher:innen, die in Gefahr geraten, vom kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Leben ausgeschlossen zu werden. Diesen Missstand versuchen Kulturbetriebe im Sinne ihres kulturpolitischen Auftrages unter anderem über die Preisgestaltung zu adressieren. Häufig erreichen diese Maßnahmen nicht das intendierte Ziel. Gründe dafür sind beispielsweise die als zu hoch empfundenen Preise, eine mangelnde Miteinbeziehung der Adressierten in die Preisgestaltung oder Stigmatisierung im Bezahlprozess. Gleichzeitig steht kulturelle Teilhabe, als Menschenrecht und damit zentrales kultur- und gesellschaftspolitisches Anliegen, in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Gemeinwohl demokratischer Gesellschaften, ist sie doch zentral für das freie Entfalten von Individuen und Gruppen.
 
Kultursoziologische Modelle und Konzepte sowie empirische Untersuchungen zeigen, dass vor allem Milieuzugehörigkeit, Bildung und Alter die Intensität und Qualität kultureller Teilhabe beeinflussen, wobei als die häufigsten Hinderungsgründe mangelndes Interesse, mangelnde Zeit und Information, ein zu hoher Preis, eine zu geringe Auswahl und eine schlechte Qualität des Angebotes angegeben werden. In Abhängigkeit vom jeweiligen kulturellen Angebot adressieren Maßnahmen zur Steigerung kultureller Teilhabe diese Einflussgrößen daher direkt oder indirekt über die Gestaltung monetärer und nicht-monetärer Aspekte, wie beispielsweise Preiskonzepte, Inhalte der Angebote und ihre Vermittlung.
 
Von November 2019 bis Oktober 2022 förderte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das Forschungsprojekt kulturPreis – Steigerung der kulturellen Teilhabe mittels innovativer und ökonomisch nachhaltiger Preiskonzepte, welches unter Beteiligung der Technischen Universität Berlin und der Universität Paderborn durchgeführt wurde. Ziel war es, die Einsatzmöglichkeiten und die Wirksamkeit von alternativen und ökonomisch nachhaltigen Preiskonzepten für Kulturbetriebe zu erforschen und dadurch die kulturelle Teilhabe von verletzlichen Verbraucher:innen zu steigern. Um dieses zu erreichen, arbeitete das Projektteam eng mit den folgenden Projektpartnern zusammen: Caritasverband Paderborn e.V., Theater Paderborn, Heinz Nixdorf MuseumsForum, Pollux by Cineplex Kino, Musik-Club Wohlsein, Kulturamt der Stadt Paderborn und Kreis Paderborn. 
 
Im Zentrum des Projektes stand vor allem die Implementierung und Evaluierung des Preiskonzepts Suspended Coffee. Das Preiskonzept Suspended Coffee orientiert sich an der traditionellen italienischen Geste Caffè sospeso (zu dt. aufgeschobener Kaffee). Hierbei bezahlen Kund:innen eines Cafés eine weitere Tasse Kaffee für eine Person, die sich diese derzeit nicht leisten kann. Übertragen auf den Kulturbetrieb stellt sich das Preiskonzept wie folgt dar: Besuchende eines Kulturbetriebs haben die Möglichkeit, ein zusätzliches Eintrittsticket zu erwerben, welches im Anschluss Menschen zur Verfügung gestellt wird, die sich dieses derzeit nicht leisten können. Das Preiskonzept Suspended Coffee wurde in Interviewstudien mit Verantwortlichen von Kulturbetrieben, Mitarbeitenden des Caritasverbands Paderborn e. V. sowie mit verletzlichen Verbraucher:innen am positivsten eingestuft. Vorangegangen waren diesen Studien Literaturrecherchen und die Entwicklung von Taxonomien, aus denen ersichtlich wurde, welche alternativen Preiskonzepte von Kulturbetrieben bereits (erfolgreich) angewendet wurden.
 
Der konkreten Implementierung ging die Entwicklung von Service Blueprints voraus, die die Prozesse innerhalb der Kulturbetriebe und des Caritasverbands Paderborn e. V. sowie der Besuchenden und der Projektmitarbeitenden abbildeten und miteinander in Beziehung setzten. Zudem wurde die Spenden- und Partizipationsbereitschaft von (Nicht-)Besuchenden mithilfe eines quantitativen Fragebogens erhoben, um einzuschätzen wie groß die Teilnahmebereitschaft von Besuchenden am Suspended-Coffee-Preiskonzept ist.
Unter dem Titel <i>KulturGeschenk</i> wurde das Preiskonzept für das Theater Paderborn, das Pollux Kino und die Städtischen Museen und Galerien der Stadt Paderborn aufbereitet und von Dezember 2021 bis Juni 2022 implementiert – größtenteils unter strikten Corona-Regelungen. Daraus konnten folgende wertvolle Erkenntnisse gewonnen werden. 

Zunächst ist festzuhalten, dass die Adressierten das Preiskonzept positiv bewerteten. Die Einlösung der Tickets wurde jedoch durch Hemmnisse in Zusammenhang mit dem Kulturbesuch erschwert (z. B. fehlende Mobilität, mangelndes Interesse). Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass der Einlösezeitraum hätte länger sein und die Zeithorizonte und Tagesstrukturen der verletzlichen Verbraucher:innen noch stärker hätten berücksichtigt werden sollen. Daher verlängerten alle Partnerbetriebe den Einlösezeitraum bis Ende 2022. 
In Hinblick auf den Prozess hat sich gezeigt, dass der Ablauf sehr gut funktionierte, jedoch die Bereitschaft, ein KulturGeschenk zu erwerben, im Laufe der Implementierung abnahm. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass ausreichend Budget für entsprechende Marketingmaßnahmen eingeplant werden sollte. Des Weiteren wirkte sich die direkte Ansprache von potenziellen Käufer:innen eines KulturGeschenkes an der Kasse positiv aus. Interessant war auch die Beobachtung, dass der KulturGeschenk-Kauf auch unabhängig vom eigenen Ticketkauf funktionierte, das heißt, der Kulturbetrieb teilweise ausschließlich für den Kauf eines KulturGeschenk aufgesucht wurde. 
Neben diesen Ergebnissen entwickelte das Projektteam einen Handlungsleitfaden, in welchem insgesamt 14 Preiskonzepte detailliert dargestellt werden, sowie einen Preis-O-Mat – eine digitale Entscheidungshilfe zur alternativen Preisgestaltung – der sich an interessierte Kulturbetriebe und -tätige richtet, um die gewonnen Erkenntnisse einer breiten interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. 

Weitere Informationen unter kulturpreis.info.

Credits und Zusatzinfos: 

Literatur
  • Maike Althaus, Stefanie J. M. Müller, Dennis Kundisch, „What price culture? – a taxonomy of the admission pricing policy at museums” in: International Journal of Cultural Policy, 30(3), 2024, 392–407. 
  • Pierre Bourdieu, „Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital“, in: R. Kreckel (Hg.), Soziale Ungleichheiten. Soziale Welt, Sonderband 2, Göttingen 1983, S. 183–198.
  • European Commission, Special eurobarometer 399. Cultural access and participation. Report, 2013, europa.eu/eurobarometer/surveys/detail/1115 (19.07.2024).
  • Beate Flath, Maryam Momen Pour Tafreshi, „Work-related practices of local managers of live music events in Ostwestfalen-Lippe (OWL) and their impact on cultural participation“, in: Arts and the Market, 11(2), 2021, S. 109–122.
  • Beate Flath, Maryam Momen Pour Tafreshi, „Zwischen teilhaben und Teil sein. Ein Gespräch über kulturelle Teilhabe im Kontext transdisziplinärer Forschung“,  in: Beate Flath, Christoph Jacke, Manuel Troike (Hg.), in: Transformational  POP: Transitions, Breaks, and Crises in Popular Music (Studies) (Vibes – The IASPM D-A-CH Series 2), 2022, S. 19–32, vibes-theseries.org/kulturelle-teilhabe-flath-momen-pour-tafreshi/ (19.07.2024)
  • Birgit Mandel, Teilhabeorientierte Kulturvermittlung Diskurse und Konzepte für eine Neuausrichtung des öffentlich geförderten Kulturlebens>, Bielefeld 2016.
  • Hans-Wolfgang Micklitz, Andreas Oehler, Michael-Burkhard Piorkowsky, Lucia A. Reisch, Christoph Strünck, Der vertrauende, der verletzliche oder der verantwortungsvolle Verbraucher? Plädoyer für eine differenzierte Strategie in der Verbraucherpolitik. Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats Verbraucher- und Ernährungspolitik beim BMELV, 2010, www.vzbv.de/sites/default/files/downloads/Strategie_verbraucherpolitik_Wiss_BeiratBMELV_2010.pdf (24.06.2024).

Empfohlene Zitierweise:
Beate Flath, Dennis Kundisch, Nancy V. Wünderlich: Kulturelle Teilhabe und innovative Preiskonzepte. Einblicke in ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, in: neues museum 24/4, www.doi.org/10.58865/13.14/244/4.
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