Klimaaktiv im Museum – damit wir kein Lost Place werden! Foto: pxhere
Klimatisierung von Depots und Ausstellungsräumen
Zusammenfassung des Vortrags von Stefan Simon im Rahmen der ARGE Museums For Future, 24. Jänner 2022
Das Rathgen-Forschungslabor wurde 1888 als „Chemisches Laboratorium der Königlichen Museen“ gegründet. Schon dessen erster Direktor Friedrich Rathgen (1862–1942) sah eine Hauptaufgabe des Labors in der Erforschung und Analyse des Erhalts von Kulturgut – allerdings noch nicht vor dem Hintergrund von Umwelt- und Klimakrisen.
Nach der Zerstörung des Labors im Zweiten Weltkrieg und kurzem Weiterbetrieb unter Carl Brittner wird es unter dem heutigen Namen 1975 unter Joseph Riederer wiedergegründet.
Die Umweltkrise der 1980er Jahre – zusammengefasst mit dem Schlagwort „Saurer Regen“ – war auch im Rathgen-Forschungslabor Auslöser, sich wieder vermehrt den Fragestellungen der umweltbedingten Bedrohung des Kulturerbes auseinanderzusetzen.
Die Zerstörung und Verlust von Kulturgut lässt sich nicht einfach in der Höhe von Zahlen festmachen (Stärke von Erdbeben, Höhe einer Flutwelle, Windgeschwindigkeit, …) – es spielen auch soziale Faktoren eine Rolle. Im World Desaster Report 2014 beschreiben Terry Canon e. a. Desaster als „Social Construct“. Das ist mit einer der Gründe, warum die Umsetzung eines „grünen Museums“ so schwerfällt. Die Klimakrise verändert alles!
Seit der Energiekrise 2022, verursacht durch den Krieg in der Ukraine, sind Museen in Deutschland durch den Notfallsplan Gas aufgefordert, 20 % ihrer Energie einzusparen und das, eigentlich alte Thema der Energiekrise/Nachhaltigkeit wurde neu befeuert, um der Klimakrise entgegenzuwirken.
Dabei hat der Klimawandel längst begonnen: Der als Science-Fiction gekennzeichnete, 2020 erschienene Roman von Kim Stanley Robinson Ministerium der Zukunft beginnt seine Erzählung mit einer Hitzewelle in Indien, die bereits 2022 Realität wurde. In Südostasien wurden Temperaturen bis über 50 Grad Celsius gemessen. Global wurden 2022 reihenweise meteorologischen Rekorde gebrochen! In beide Richtungen: In China wurde im Jänner 2022 mit minus 53 °C die niedrigste Temperatur seit Beginn der Aufzeichnung gemessen.
Das sind erst die Vorboten der Klimakrise. CO2 aber steigt kontinuierlich weiter, ein Absinken ist nicht in Sicht, obwohl wissenschaftliche Erkenntnisse den Weg vorgeben würden. Das 1,5-Grad-Ziel kann im Grunde nicht mehr erreicht werden. 1971 war der Erdüberlastungstag in Deutschland am 29. Dezember, 2022 am 4. Mai (in Österreich am 6. April!). 60 % des in die Atmosphäre eingebrachten CO2 wurde in den letzten 40 Jahren eingebracht.
Johan Rockström, wissenschaftlicher Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, verglich unsere derzeitige Situation mit der Fahrt auf einer stockdunklen Landstraße – dabei würde die Wissenschaft wie ein Scheinwerfer wirken und uns den Weg zeigen.
Aber auch populäre Phänomene, wie der Film Don’t Look Up, ändern die Richtung der Gesellschaft bis jetzt nur unwesentlich – oder zumindest nicht ausreichend.
Folgende Dinge müssen hinsichtlich der Klimakrise verstanden werden:
- Die Klimakrise ist real, in manchen Teilen der Welt hat sie bereits begonnen und fordert ihre Opfer.
- Wir haben diese Klimakrise verursacht.
- Es handelt sich um eine nie dagewesene, sehr ernste Bedrohung.
- Sie wird alles verändern.
Wenn es keine Gesellschaft in der heute üblichen Form und Funktionalität gibt, braucht es auch keine Museen mehr, denn es wird niemand mehr die Museen besuchen (können).
Die Krise macht vor Bibliotheken, Archiven und Museen nicht Halt.
Was können wir tun?
Der Total Carbon Footprint von Museen ist überdimensional. Zum Vergleich: 2019/20 untersuchte das Arts Council England den CO2-Abdruck von Kunst- und Kulturinstitutionen. Museen machen 8 % der National Portfolio Organisations aus, zeichnen aber für über 40 % des CO2-Fußabdrucks aller Kunst- und Kulturinstitutionen verantwortlich.[1]
Mit ein Grund dafür sind die überproportional vielen Museumsgründungen im und an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Das beste/grünste Museum ist heute das Museum, das gerade nicht gebaut wird.
Der Energieverbrauch in Museen setzt sich zusammen aus:
- grauer Energie (Baumaterialien, bspw. ist Zement laut Forschern der Denkfabrik Chatham House die Quelle für 8 % der weltweiten CO2-Emissionen)
- Betrieb (Wärme, Kälte, Lüftung, Strom)
- Verbrauchsmaterialien
- Mitarbeiter:innenmobilität
- Besucher:innenmobilität
- Leihverkehr/Ausstellungswesen
Die Erfassung des Energieverbrauchs ist schwierig, der Flächenverbrauch im Museum wird unterschiedlich erfasst oder berechnet. Aber nur bezogen auf die Flächen oder Raumvolumina werden Energieverbräuche für ein Benchmarking vergleichbar. Fest steht, je enger der Klimakorridor angelegt ist, desto höher ist der Energieverbrauch, er steigt sogar exponentiell (vgl.: David John Artigas, A Comparison of the Efficacy and Costs of Different Approaches to Climate Management in Historic Buildings and Museums, 2007).
Das Museumsklima ist kompliziert: Es soll nicht zu trocken (sonst drohen Risse), nicht zu feucht sein (Schimmel o. ä. biologische Abbaurozesse können entstehen/ablaufen), nicht zur warm (Beschleunigung von chemischen Prozessen – RGT-Regel). Die Minimaltemperatur des Museumsklima hat dabei mit dem Erhalt der allermeisten Museumsobjekte am wenigsten zu tun. Die in Deutschland (und den USA) vorgegebene Empfehlung von 19 °C kommt vielmehr aus dem Arbeitnehmer:innenschutz und hat damit etwas mit Behaglichkeit zu tun. Interessant hierbei auch, dass 19 °Cs heute als relativ kühl empfunden werden, 1915 , so zeigen es alte Thermometer, verstand man unter „Zimmertemperatur“ 16 °C, 1930 17,5 °C.
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts werden Werte für ein gutes Museumsklima empfohlen. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts war bekannt, dass ein stabiles Klima für Museumsobjekte förderlich ist. Bei der Errichtung des Boston Museums of Fine Art gab der Architekt Richard Clipston Sturgis 1905 vor, auf eine Mindesttemperatur von 15,6 °C (60 °F) und 50 % r. F. im Winter zu achten und „excessive heat“ im Sommer zu vermeiden.[2] Ebenfalls in seinem Plan für das Museum findet sich die folgende Empfehlung: „Angesichts der extremen Schwankungen unseres Klimas erscheint es mir erstrebenswert, dass die Glasflächen, sei es in Oberlichtern oder Fenstern, auf ein Minimum beschränkt werden, die während des größten Teils des Jahres gutes Licht liefern, auch wenn dies auf Kosten von ein paar dunklen Tagen im Winter geht.“
Friedrich Rathgen hat in seinem Aufsatz „Über Zerfall und Erhaltung von Altertumsfunden aus Stein und Ton“ (1906) auf die Wichtigkeit des Klimas für Objekte hingewiesen und dafür auch Vitrinen als Klimapuffer entwickelt und vorgeschlagen.
Ian Rawlings stellt 1942 die sogenannte 60/60 Regel für ein gutes Museumsklima auf (60 % r.F., 60 °F/15,6 °C), die sich leicht merken lässt und fortan in den internationalen Museumskreisen an Einfluss gewinnt.
Bei der Diskussion um Klimakorridore darf man nicht außer Acht lassen, dass die allermeisten Objekte bis in die 1960er Jahre ohne jegliche Klimatisierung aufbewahrt oder benutzt wurden.
In Kirchen gibt es keinerlei klimatechnische Maßnahmen, hier hat es – bspw. in der Kirche Santa Maria Gloriosa dei Frari, Venedig, in der ein originaler Tizian hängt – zwei bis drei °Cs im Winter und 30 bis 80 Prozent Luftfeuchtigkeit über das Jahr. Das bedeutet nicht, dass es nicht zu Schäden kommt oder kommen kann, diese sind aber leichter zu beseitigen als jene, die wir durch den hohen CO2-Verbrauch verursachen.
Erst ab den 1960er Jahren werden Objekte durch den Einsatz von Klimaanlagen in konditioniertem Umfeld gelagert. Der große Energiebedarf von Museen entstand ebenfalls erst durch den Einsatz von Klimaanlagen. Hinzu kommt, dass die Museumsbauten bauphysikalisch oftmals nicht nachhaltig sind.
Mit der Einführung der Klimatechnik kommt es zur Festsetzung von Standards (ICOM 1974 und folgend, vgl. dazu Ein neuer Klimakorridor für Ausstellungen? Über die Entstehung der Grenzwerte und den aktuellen Stand der Diskussion).
Die festgesetzten engen Klimastandards werden im Alltag auch nicht von allen Museen erfüllt, die Messung erfolgt häufig in der Gebäudeleittechnik und nicht am Museumsobjekt oder in den Ausstellungsräumen, trotzdem werden diese Standards von Museen und Kulturpolitiker:innen letztlich unkritisch übernommen.
Jedes Museum jedoch möchte in punkto Klimastandards ein Class A-Museum (Gary Thomson: Museums Environment) sein. Die Standards – das hat bspw. auch der Autor Gary Thomson selbst zugegeben –wurden gesetzt, ohne genügend über die Stabilität von Objekten zu wissen. Die Klimastandards sind am technisch Möglichen und weniger am konservatorisch Notwendigen ausgerichtet. Die Energiekosten, die für die exzessive Klimatisierung aufgewandt werden müssen, sind hoch! Zu hoch, um auf Dauer alle Objekte erhalten zu können. Das Museumsklima wird automatisch auf alle Objekte übertragen, obwohl nur ein Bruchteil der Objekte, die es natürlich gibt eine bestimme Klimatisierung tatsächlich auch benötigt.
Die Diskussion über das Museumsklima wurde konstant seit der Einführung von Standards geführt: 1994, Let's be honest — realistic environmental parameters for loaned objects, Vortrag von Jonathan Ashley-Smith, Head of Conservation, V&A Museum, London auf der IIC Conference in Ottawa, in dem er festhält, dass die meisten Objekte wesentlich mehr an Temperatur-und Luftfeuchtigkeitschwankung aushalten als von Gary Thomson für Class A Museen vorgegeben. Er verlor letztlich seine Stelle am V&A.
Marion Mecklenburg, Museum Conservation Institute, Smithsonian Institution, Washington, erreichte nach Jahrzehnten der Forschung, dass das Smithsonian neue Klimakorridore 2004 festlegte (Marion Mecklenburg e. a.: Preserving Legacy Buildings): 45 +/- 8 Prozent Luftfeuchtigkeit, 21 +/- 2 °C. Er wurde vom Verband der Restauratoren ausgeschlossen. Die Umsetzung des neuen Klimakorridors brachte hingegen eine Energieersparnis von knapp 20 %, Schäden oder konservatorisch Probleme wurden keine festgestellt.
Insgesamt entstehen erfahrungsgemäß die meisten Schäden an Objekten nicht durch Klimaveränderungen, sondern durch Wasser und durch Physical Beschädigung (Besucher:innen, falsches Handling, die schlimmste Auswirkung hat Feuer – vgl. dazu Ignoranz und Unwissenheit – Risk of Dissociation).
Das Bizot Green Protocol 2014 wurde viel kritisiert, da keine Restaurator:innen am Prozess beteiligt waren, wurde aber trotzdem von vielen Museen und Ausstellungshäusern akzeptiert. Klar hält das Papier auch fest, die Empfehlung gilt für viele Objekte, nicht für alle! Manche Objekte brauchen strengere klimatische Maßnahmen – und eine restauratorische Begleitung und Aufsicht ist notwendig
Das Münchner Dörner Institut und das Rathgen-Forschungslabor haben zu den Bizot-Richtlinien unterschiedliche Positionen entwickelt, Das Dörner-Institut lehnt sie ab, das Rathgen-Forschungslabor schließt sich ihnen an. Beide Institute haben dazu 2012 (Dörner-Institut) und 2013 (Rathgen-Forschungslabor) Tagungen abgehalten [3][4].
2014 setzen die Environmental Guidelines – IIC and ICOM-CC Declaration den Standard auf 40 bis 60 % Luftfeuchtigkeit und eine stabile Temperatur zwischen 16 und 25 °C (maximale Schwankung von 10 % Luftfeuchtigkeit innerhalb von 24 Stunden) fest. Risikomanagement sollte eingeführt werden.
Die Nachhaltigkeit ist hier erstmals Kriterium, und es muss das Schlüsselkriterium für Museumsarbeit werden.
Die Museen sind von Klimaneutraltät leider noch weit entfernt. Wir sind noch nicht auf dem richtigen Weg!
Das Gebäude sollte die wichtigste Kontrollinstanz hinsichtlich des Klimas sein. Das beste Museum ist heute letztlich das Museum, das nicht gebaut wird.
Das Museum ist an sich ein langfristiges Unternehmen, das darauf angelegt ist, seine Bestände für künftige Generationen zu erhalten. Es muss im Interesse der Museen stehen, die Klimabewegung aktiv zu unterstützen! Mit zu viel Technik, aufwändigen Klimaanlage laufen Museen Gefahr, ihre eigene Existenz zu unterminieren.
Credits und Zusatzinfos:
[1] Arts Council England 2020, Sustaining Great Art and Culture, Environmental Report 2018/19, 2020, www.artscouncil.org.uk/sites/default/files/download-file/ACE%20JB%20annual%20report%202019-20.pdf [25.01.2023]
[2] R. Clipston Sturgis: Report on Plans Presented to the Building Committee. Museum of Fine Arts, Boston, 1905. [25.01.2023]
[3] Internationale Tagung Konservierungswissenschaft und nachhaltige Entwicklung für die Erhaltung von Kunst- und Kulturgut – Auf dem Weg zum grünen Museum, Rathgen-Forschungslabor 2013. Videobeiträge: www.smb.museum/museen-einrichtungen/rathgen-forschungslabor/forschung/forschungsprojekte/green-museum/
[4] Andreas Burmester, Melanie Eibl: Stable is safe. Die Münchner Positionen zu Klima und Kulturgut, 2014, https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/thenetexperts-pinakothek-cms/03/stellungnahme-doerner-bizot-de.pdf
[2] R. Clipston Sturgis: Report on Plans Presented to the Building Committee. Museum of Fine Arts, Boston, 1905. [25.01.2023]
[3] Internationale Tagung Konservierungswissenschaft und nachhaltige Entwicklung für die Erhaltung von Kunst- und Kulturgut – Auf dem Weg zum grünen Museum, Rathgen-Forschungslabor 2013. Videobeiträge: www.smb.museum/museen-einrichtungen/rathgen-forschungslabor/forschung/forschungsprojekte/green-museum/
[4] Andreas Burmester, Melanie Eibl: Stable is safe. Die Münchner Positionen zu Klima und Kulturgut, 2014, https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/thenetexperts-pinakothek-cms/03/stellungnahme-doerner-bizot-de.pdf