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Ich hätte noch Fragen gehabt. Zum Tod des Kunsthistorikers Gerhard Bott
Der Herausgeber des Buches „Das Museum der Zukunft“ (1970) hatte eine wenig bekannte NS-Vergangenheit.
Von: Mirl Redmann ( freie Kunstvermittlerin und Autorin), Kassel

Im Juni 2022 starb der prominente Kunsthistoriker und Museumsdirektor Gerhard Bott 94-jährig. Die Karriere von Gerhard Bott war in vielerlei Hinsicht exemplarisch für den Aufbau der BRD und ihrer Kunstinstitutionen. In meiner Forschung symbolisiert er das Unverständnis über eine Nummer und den Umgang unserer Gesellschaft mit ihr: Für das Rätsel um Schweigen, Relativieren und Weggucken, das uns bis heute prägt.
 
Die Gerhard Bott zugeordnete Nummer lautete 10102916, unter ihr verbuchte die NSDAP den Eintritt des damals noch nicht 17-Jährigen, zum 20. April 1944. Als ich Botts Karteikarte im Frühjahr 2019 im Bundesarchiv fand, war er für mich nur einer unter vielen. Er war Teil einer langen Liste aus formalen Gründen zu prüfender Namen für meine Recherche zur NS-Vergangenheit der documenta-Organisator:innen. Aber etwas war anders: Im Gegensatz zu den weiteren Personen auf meiner Liste lebte Bott noch. Der damals 83-jährige war 2010 noch zum Hanauer Stadthistoriker berufen worden. Es bestand also Hoffnung auf ein Gespräch – ich versuchte ihn zu kontaktieren, ohne Erfolg.
 
Was hätte ich ihn fragen wollen? Sicher, wie er heute zu seinem damaligen Parteieintritt stehe. Es war immerhin ein aktiver Schritt. Mit wem hat er darüber gesprochen? War ihm bewusst, dass er sich als Mitglied im Aufsichtsrat der documenta-Ausstellungen 3 bis 6 in einem Netzwerk bewegte, dessen Kern überwiegend aus Altnazis bestand?
 
1974 forderte der damalige Direktor der Hamburger Kunsthochschule Herbert Freiherr von Buttlar in einem Brief an Karl Ruhrberg und Wieland Schmied, die designierten Leiter der documenta 6, „... dass Sie den Herren Bode, Stünke, Blase, Bott und v. Buttlar einen kompetenten Platz in der Mitarbeit einräumen.“ Mit Hein Stünke, Karl Oskar Blase und Gerhard Bott benannte er drei prominente Personen der zweiten documenta-Generation. Sie standen für eine Verzahnung von lokaler Verankerung, nationaler Reichweite und internationalen Anknüpfungspunkten – und diese Verzahnung machte das Erfolgsrezept der documenta aus. Zufall, dass sie alle drei im NS-Staat Parteimitglieder gewesen waren?
 
Bott war zu diesem Zeitpunkt bereits seit 14 Jahren Leiter des Hessischen Landesmuseums in Darmstadt. Von Buttlars Insistieren sicherte Bott scheinbar erneut einen Platz, nicht nur im Aufsichtsrat sondern auch in den Entscheidungsgremien der sechsten documenta. So konnte er nach 14 Jahren als Leiter des Hessischen Landesmuseums in Darmstadt sein Netzwerk ins Rheinland erweitern und kam ins Spiel für die Generaldirektion der Kölner Museen, die er 1975 übernahm. Von dieser Position aus ernannte Bott Ruhrberg zum Gründungsdirektor des Museum Ludwig (1978), bevor er selbst 1980 als Generaldirektor ans Germanische Nationalmuseum in Nürnberg wechselte, das er dann bis zu seiner Pensionierung 1993 leitete.
 
Botts Werdegang verdeutlicht die außergewöhnlichen Karrierechancen der Generation der Flakhelfer in der BRD. Wer aus den Jahrgängen 1926-1928 die Endphase des zweiten Weltkriegs überlebt hatte und weder physisch noch psychisch ein Krüppel war, konnte – wie Bott – mit 23 Jahren promoviert sein und bereits in verantwortlicher Position arbeiten. Gerhard Bott war bei Eintritt in die NSDAP jung und auf bestem Weg Teil einer Elite zu werden, deren Kontinuität wenig später auch für den Wiederaufbau notwendig erschien.
 
Gerhard Bott hat auch nach dem Ende seiner Karriere und bis ins Grab zu seiner NS-Vergangenheit geschwiegen, genauso wie Karl Oskar Blase, Werner Haftmann, Alfred Hentzen, Hein Stünke, Hermann Mattern, Hermann Schaffner, Erich Herzog, Günter Skopnik und ein gutes Dutzend andere Protagonisten in den Aufsichtsräten und Organisationsgremien der documenta-Ausstellungen bis in die 1980er Jahre. Ihre Vermeidung der Auseinandersetzung macht es heute notwendig, diese Geschichten in mühseliger Kleinarbeit aufzuarbeiten.
 
Notwendig warum? Nach dem rechtsterroristischen Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke 2019 sowie dem rassistisch motivierten Terrorakt auf Bürgerinnen und Bürger seiner Heimatstadt Hanau 2020 wünschte ich dringlich, Bott würde sprechen: Welche Impulse hätte eine klare Positionierung und Reflexion seiner Vergangenheit gesetzt? Hätte ein ehrliches Gespräch jenseits der auf „Opfer“ und „Täter“ fixierten Erinnerungskultur nicht helfen können, das gesellschaftliche Vakuum ein Stück weit zu öffnen, mit dem wir bis heute auf dem rechten Auge blind leben?



Die Autorin promoviert an der Universität Genf über die Geschichte der Internationalisierung der Kunstausstellung documenta. Ihre Forschung zu den NS-Vergangenheiten der Organisator:innen der documenta wurde im Kontext der Publikationsreihe „documenta-Studien“ der documenta-Professorin Nora Sternfeld sowie im Rahmen der Ausstellung „documenta: Politik und Kunst“ im Deutschen Historischen Museum 2021/22 publiziert. 

Credits und Zusatzinfos: 
Foto: S. Fauland/transcript
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