Foto: Illustration ©Stefanie Hilgarth / mumok , Werk ©Otto Freundlich
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Gedanken zu einer neuen Museumspraxis

Wir leben in einer Zeit der gesellschaftlichen Umbrüche und digitalen Transformationen, tradierte Werte und Vorstellungen werden infrage gestellt und ändern sich mitunter rasant. Museen als diskursive, offene Orte des Lernens und Hinterfragens spielen eine wesentliche Rolle in der demokratiepolitischen Bildung.  

Im Museumssektor kommt es zu einer internen und externen Aufmerksamkeitsverdichtung, die großen Budgets und der Glamour allerdings wird weiterhin im Reigen der Ausstellungen gesehen. Ein Umstand, der die Programmlinien unterschiedlicher öffentlicher Institutionen austauschbar und die Konkurrenz um Besucher:innenrekorde verschärft. Und wenn es dann dem Zeitgeist gemäß noch stets schneller, besser und mehr vom Gleichen sein soll, ist es recht schwer, aus diesem Hamsterrad auszubrechen und taktisch klug sowie nachhaltig zu agieren. Die Auseinandersetzung um Verzicht birgt aber durchaus Potenzial für eine tiefere Reflexion, die über den öffentlichen Diskurs hinausgeht. 

Denn in Zeiten von Klimawandel, Ressourcenknappheit und sozialen Spannungen ist der Kultursektor zu einem entscheidenden Spieler geworden, welcher die geistigen und handlungsorientierten Ressourcen zur Gestaltung der Zukunft bereithält. Es geht nicht darum, das Alte abzulegen, sondern das Neue verantwortungsvoll zu gestalten – in einem fortwährenden Dialog von Wissenschaft und Nachhaltigkeit, der die Gesellschaft inspiriert und voranbringt.
Ein Moment der Entschleunigung wäre da angebracht. Ein Innehalten und Reflektieren, was es denn sein könnte, das unsere Institutionen im Kern ausmacht, uns beständig auf fruchtbarste Art antreibt und was wir Menschen heute mehr denn je brauchen. Vielleicht ist es Zeit, die musealen Objekte, die wir in unseren Sammlungen bewahren dürfen, als den kunst- und kulturgeschichtlichen Reichtum anzuerkennen, der sie sind. Vielleicht ist jetzt der Moment, die Menschen (Mitarbeiter:innen und Besucher:innen gleichermaßen), die sich mit diesen Objekten beschäftigen, als unerschöpfliche Quelle der multiperspektivischen Expertise zu begreifen, die sie darstellen. Vielleicht ist eine authentische und intensive Beziehungsarbeit von Menschen für Menschen über alle institutionalisierten Hierarchieebenen und Bevölkerungsgruppen hinweg nach innen und außen jener mächtige Anker, der uns verbindet. 

Und: Vielleicht, ja vielleicht gibt es da noch massiv unausgeschöpftes Potenzial in eben jenen Bereichen in den Sammlungs- und Vermittlungsabteilungen der Museen. So möchte man es rufen, aus den ressourcentechnisch weniger gut bestückten Kästchen des Organigramms hinüber in das Zentrum der Debatte. Und: Vielleicht, ja vielleicht ist der inhaltliche Fokus des Diskurses auf einen Teil der Museumspraxis, das Ausstellungswesen, eben Teil des Problems.

In volatilen Zeiten liegt die Kraft in der Gewissheit, auf unterschiedlichste Herausforderungen passend reagieren zu können. Methodische Mitarbeiter:innenentwicklung kann als Wegbereiter für Neues kaum überschätzt werden. Die nachhaltige Entwicklung von Teams basiert auf der Erkenntnis, dass Mitarbeiter:innen die substanzielle Ressource einer Kulturinstitution sind. Sie sind nicht nur Bewahrer:innen der Vergangenheit, sondern auch Gestalter:innen der Zukunft. Doch wie können wir sicherstellen, dass unsere Kulturinstitutionen nicht nur Wissen sammeln und vermitteln, sondern auch Wissenskommunikator:innen weiterentwickeln? 

Als Grundpfeiler jeder Kulturinstitution brauchen Teams nicht nur Raum für Austausch und Kreativität, sondern auch kontinuierliche Fortbildungsmöglichkeiten, um individuelle Kompetenzen aktualisieren und verfeinern zu können, sowie die Möglichkeit, neuerworbenes Wissen zeitnah und sinnhaft in ihrem Verantwortungsbereich einzusetzen. Die Bereitschaft zur Investition in umfassende Aus- und Weiterbildungsprogramme muss somit eine Leitlinie jeder nachhaltigen Strategie bilden. Denn Mitarbeiter:innen mit aktuellen Kompetenzprofilen können aufkommende Trends und Technologien kritisch reflektieren und informiert adaptieren und so das hauseigene Museumskonzept multidimensional gestalten. Es braucht interaktive und interdisziplinäre Weiterbildungsprogramme, die sowohl die fachliche als auch die persönliche Entwicklung fördern. Ein Ansatz hierfür wäre, die Rolle institutionsübergreifender Partnerschaften mit akademischen Einrichtungen und anderen Kultureinrichtungen zu überdenken, um methodisch und praktisch voneinander zu lernen.

Eine Institution, die in die Bildung ihrer Mitarbeiter:innen investiert, erhöht nicht nur die Qualität ihrer Programmierung, sondern unterstützt auch die Zukunftsfähigkeit des gesamten Sektors. Doch wie lässt sich eine Kultur der konstruktiven Reflexion und des lebenslangen Lernens in den oftmals starren Strukturen etablierter Museen verankern? Wie können wir eine Umgebung schaffen, in der innovatives Denken gefördert und nicht durch administrative Hindernisse erstickt wird?
Die Antwort auf diese Fragen könnte darin liegen, einen Paradigmenwechsel weg von der bloßen Wissensvermittlung und hin zu einem aktiven, kontinuierlichen Wissensaustausch anzustoßen. Entscheidend für die Anpassungsfähigkeit eines Museums ist die Schaffung von Strukturen, die Effektivität und Effizienz im Sinne einer menschenzugewandten und sinnstiftenden Zusammenarbeit erhöhen. Abteilungsübergreifende, projektorientierte Teams, die verantwortungsvoll und selbstverantwortlich handeln, sorgen für Flexibilität und eine offene Kommunikation, die unerlässlich für die rasche Umsetzung von innovativen Technologien ist. Digitale Zugänge zu Kunsträumen und die Bereitstellung von Open-Access-Datenbanken demokratisieren das Kunsterlebnis, indem sie Kunstwerke rund um die Uhr und von jedem Ort der Welt mit Internetzugang aus zugänglich machen. So werden physische und soziale Hürden abgebaut und eine Einladung zur interaktiven Auseinandersetzung mit Kunst ausgesprochen. Eine intensivere Erarbeitung von Sammlungen und ihrer Geschichte fordert eine Form der musealen Dokumentation von kunst- und kulturgeschichtlichen Werken, die sich nicht nur einer akkuraten Angabe einzelner objektbezogener Informationen widmet, sondern vielmehr auf die Erforschung und Darstellung von Zusammenhängen, Gleichzeitigkeiten und Kontext fokussiert. Dadurch bedingt die (digitale) Visualisierung von Sammlungen ein tiefgehendes geistesgeschichtliches Verständnis von vernetztem Wissen bei gleichzeitiger kritischer Reflexion technischer Errungenschaften. Dadurch wird eine strategische Museumspraxis auch bildungspolitisch interessant. Man denke nur an das neue Schulfach digitale Grundbildung! 

Im vollen Bewusstsein der Möglichkeiten unserer digitalen Welt werden diese Aspekte weiterhin und verstärkt durch analoge, direkte und gesprächsorientierte Formate mit Besucher:innen aller Altersgruppen intensiviert. Kulturelle Teilhabe muss auch abseits digitaler Kommunikation stattfinden. Kollaborative Initiativen, die die Öffentlichkeit in die Gestaltung und Erarbeitung von Sammlungen einbinden, erweitern die tradierte Kunstbetrachtung um soziale, gesellschaftspolitische und kreative Parameter. Diese fortschrittliche Verbreitung künstlerischer und kultureller Inhalte trägt dazu bei, dass unsere Inhalte für ein diverseres Publikum an Interesse gewinnen. Es intensiviert auch das Verständnis und die Wertschätzung für Kulturerbe in breiteren Bevölkerungsschichten, wenn wir allen Menschen Zugang geben und sie einladen, an der dynamischen und lebendigen Erzählung teilzuhaben, welche die Kultur- und Kunstgeschichte fortwährend formuliert. 

Eine Skizze, die den Weg in eine neue Museumspraxis weist und nun der konkreten Umsetzung harrt. Hierfür braucht es zukünftig massive Investitionen abseits (zeit)begrenzter Drittmittel. Die erfolgreiche Transformation und Implementierung eines neuen Ansatzes brauchen auch eine positive, lernende Arbeitskultur und Personen, die ihre Führungsverantwortung bewusst wahrnehmen (können) und ihrerseits über ausreichend Raum, Zeit und Energie verfügen, um diese entsprechend zu gestalten und dann auch zu leben. Liegt der Fokus auf Sensibilisierung und Achtsamkeit für Verantwortung und Sicherheit in der Führungsarbeit und einem von Vertrauen geprägten Miteinander, können aus komplexen Schwierigkeiten konstruktive Herausforderungen werden. Ein beiderseitiges Vertrauen, das aktiv von Menschen mit Personalverantwortung und Mitarbeiter:innen eingebracht und gemeinsam im Team gestaltet wird. Ungemein wertvoll ist in diesem Zusammenhang das von Frances Frei und Anne Morriss vorgestellte Konzept für wechselseitige, vertrauenssensible Zusammenarbeit, welches auf drei wesentlichen Kräften aufbaut. 

  • „Logik – ich bin mir sicher, du kannst das, deine Argumente und deine Beurteilungen sind valide;
  •  Authentizität – ich erfahre dich als authentisch in der Zusammenarbeit;
  •  Empathie – ich vertraue darauf, dass mein Erfolg und ich dir wichtig sind.“ [1] 

Eine nachhaltige Umgestaltung fruchtet dann, wenn sie eng mit einer Neubewertung der Rolle von Mitarbeiter:innen und einem umfassenden Verständnis für zeitgemäße Führungsarbeit einhergeht. Effektive Personalentwicklung und nachhaltige Beziehungsarbeit sind nicht isoliert zu betrachten, sondern interdependent und daher entscheidend für die Schaffung eines widerstandsfähigen, innovativen und gesellschaftlich relevanten Kultursektors. Eine Arbeitsumgebung, die Authentizität, Kohärenz, Einfühlungsvermögen und gemeinsames Lernen betont, fördert das notwendige Vertrauen zwischen Führungskräften und Mitarbeiter:innen. Gibt es hierfür eine klare, authentische und gelebte Haltung von Leiter:innen, wird ein Nährboden für kooperative und transformative Arbeit im Museum geschaffen. Ein solcher Entwurf sieht Museen als dynamische Wegbereiter, die intern eine Kultur des dialogorientierten Wandels nachhaltig verankern und extern als Multiplikator:innen gesellschaftlicher Verantwortung fungieren.

Credits und Zusatzinfos: 

Anmerkungen

1  Frances Frei und Anne Morriss, „Beginn with Trust“, 2020, in: hbr.org/2020/05/begin-with-trust, (15.04.2024).
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