Lastenrad im Einsatz für den mobilen Museumsstand mit Glücksrad für Gewinnspiel und Erhebung der Wohnortstadtteile
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Dialog im Stadtraum
Neue Ansätze zur Bevölkerungsbeteiligung und Sichtbarkeit für das Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim

Das Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim erprobt neue Wege der Publikumsforschung. Unterstützt wird es dabei von der Agentur Kulturevaluation Wegner. Ziel des 2024 erfolgten Projekts war es, mit bisher noch nicht erreichten Gruppen der Stadtgesellschaft außerhalb des Museums ins Gespräch zu kommen. Dabei wurden kreative und partizipative Aktionen sowie offene Gespräche eingesetzt. Zusätzlich gab es einen klassischen Fragebogen. Aufgrund der Kombination dieser Vorgehensweisen sind Rückschlüsse auf Chancen und Grenzen der Methoden für ähnliche Untersuchungen im Stadtraum sowie Empfehlungen für andere Museen möglich. 
 

Ziel und Vorgehensweise

Ziele des Museums – untergebracht in einer ehemaligen Festungsanlage – waren die Öffnung nach außen, eine bessere Sichtbarkeit innerhalb der Stadtgesellschaft sowie Erkenntnisse über die Einstellungen der Bevölkerung zum Museum. Daher organisierte das Haus im Sommer 2024 Aktionen im Stadtraum, um nicht nur die Besucher:innen besser kennen zu lernen, sondern vor allem mit bisherigen Nichtbesucher:innen ins Gespräch zu kommen. Bei Veranstaltungen in der Stadt (u. a. Festival der Kulturen, verkaufsoffener Sonntag, Skatehalle) und an öffentlichen Orten wie Wochenmärkten und Einkaufszentren suchte das Museum aktiv den Dialog. Es wollte erfahren, was die Menschen über das Museum wissen, warum sie es nicht oder nicht häufiger besuchen und welche Veränderungen sie sich wünschen. 
 

Kreative und partizipative Methoden am mobilen Museumsstand

Mit einem selbst entwickelten, mobilen Stand waren die Mitarbeitenden dabei präsent. Um Aufmerksamkeit zu erzielen und Kontakte zu knüpfen, setzte das Museum kreative Methoden ein: Ein Glücksrad aus Fahrradspeichen, mit dem die Wohnortstadtteile abgefragt wurden, diente gleichzeitig als Gewinnspiel. Eine Kreativaktion, bei der die Rüsselsheimer:innen ihre Lieblingsorte stempeln, malen und zeichnen konnten, ließ diese mit Spaß an der eigenen Aktivität am Stand verweilen. Beide Methoden hatten einen inhaltlichen Bezug zu den Themen der Dauerausstellung sowie zur aktuellen Mitmachausstellung und ermöglichten über die Fragen einen direkten Erkenntnisgewinn. Insbesondere die entstandene Sammlung der Lieblingsorte in Rüsselsheim eignet sich für zukünftige Projekte: als mögliche Orte für Informationen zum Museum, als Ausstellungsorte oder als Kooperationspartnerschaften, z. B. mit Sportvereinen. 

Grundsätzlich empfiehlt sich, zu entwickelnde Aktionen dem jeweiligen Museum und den anzusprechenden Zielgruppen anzupassen. Ebenso ist zu prüfen, wie hoch der Erkenntnisgewinn ist: Da nur wenig Kontrolle über die Erhebungssituation möglich ist, sind die Ergebnisse vor allem als Stimmungsbild und nicht als repräsentative Aussagen einzuordnen. 
Aus den Erfahrungen ist weiter festzuhalten: Veranstaltungen (bei angenehmem Wetter) mit Freizeitcharakter, wie z. B. Stadtfeste, eignen sich besser für ähnliche Aktionen als alltägliche Orte wie Einkaufszentren. Insgesamt ist die Dauer der verschiedenen Angebote zu berücksichtigen, um den Zeitrahmen nicht zu sprengen. Auch erhielt das Museum nicht an allen geplanten Standorten die Erlaubnis, seine Aktion anzubieten. Ein weiterer nicht zu unterschätzender Faktor ist die notwendige Logistik, den Stand zu transportieren und auf- und abzubauen.
 

Fragebogen für breitere Erkenntnisse

Zusätzlich gab es einen klassischen Fragebogen als Papier- und digitale Variante. Dieser war bewusst niedrigschwellig in Formulierungen und Fragestellungen angelegt (z. B. „Wir möchten gerne erfahren, wie du deine Freizeit verbringst.“ „Was müsste passieren, damit du häufiger ins Museum kommst?“ oder „Wie sehr fühlst du dich als Rüsselsheimerin oder Rüsselsheimer?“). Er enthielt Fragen zum Freizeit- und Informationsverhalten, zum Bezug zum Museum, zu Besuchsbarrieren und -anreizen sowie zur Struktur der Befragten. Die Bürger:innen konnten an den kreativen Aktionen teilnehmen und den Fragebogen ausfüllen oder auch nur eine der beiden Methoden nutzen. Der Fragebogen diente dabei der breiteren und aussagekräftigeren Ermittlung von Ergebnissen im Vergleich zu den kreativen Abfragen. Hierüber können Resultate differenziert und z. B. Unterschiede in den Antworten nach Altersgruppen ausgewertet werden.
 

Offener Dialog mit der Stadtgesellschaft

Ein geplanter Schwerpunkt war der Dialog mit den Bürger:innen am mobilen Museumsstand. Damit wollte das Museum tiefere und persönliche Einblicke erhalten. Stets betreuten Mitarbeitende, darunter auch der Museumsleiter, den Stand. Da die angesprochenen Bürger:innen sich offen zeigten, konnte das Team so direkt vertiefende Gespräche führen. Allerdings erwiesen sich diese zusätzlich zur übrigen Betreuung als zeitaufwendig, so dass für eine solche kombinierte Aktion ausreichend Personal und Zeit für die Gespräche eingeplant werden sollte. Nur durch diese offenen Gespräche allerdings waren Vertiefungen und Differenzierungen des Fragebogens möglich. So zeigte sich z. B., dass auch Personen, die zwar schon einmal im Museum waren, nicht wissen, was aktuell dort passiert. Auch konnte das Team bei Unklarheiten gleich nachfragen, was gemeint war, insbesondere was die Verbindung des Museumsgebäudes mit der Festungsanlage anging, die beide häufig synonym verwandt wurden. Zudem hatte der Dialog den Mehrwert, dass sich das Museum nahbar zeigte und die Bürger:innen die Mitarbeitenden kennenlernen konnten. Rückmeldungen lauteten dann auch häufig: „Gut, dass ihr mal aus der Festung rauskommt.“
 
Zu beachten ist, dass es eine große Offenheit des Teams braucht, um die Gespräche erfolgreich zu führen, da die Rückmeldungen und Gespräche auch unbequem und anstrengend sein können. Für den Umgang mit verschiedenen Zielgruppen und eine angemessene Reaktion auf die Antworten ist eine Schulung wichtig. Auch sollte Zeit für eine Dokumentation eingeplant werden, z. B. für die stichwortartige Aufzeichnung der genannten positiven oder negativen Aspekte. Die spätere Weiterleitung dieser Aspekte an die Kolleg:innen und die Diskussion der Ergebnisse sollten ebenfalls fest eingeplant werden. 

Das Team des Museums führte zum Abschluss des Projekts gemeinsam mit Kulturevaluation Wegner einen Ergebnisworkshop durch. Hierbei erarbeitete das Team zu Schwerpunktthemen aus allen Untersuchungsteilen Schlussfolgerungen für das zukünftige Vorgehen und die nächsten Ziele.
 

Reflexion und Ausblick

Für die verschiedenen Zielsetzungen war die geschilderte Kombination der Methoden sinnvoll – je nach Projektziel und Bedingungen der Durchführung sind anderen Museen individuelle Methodenschwerpunkte zu empfehlen.
Das Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim denkt jetzt darüber nach, den Dialog ohne Fragebogen fortzuführen und mit dem mobilen Stand auch zukünftig an öffentliche Orte zu gehen. Diese können mit Hilfe der ermittelten Lieblingsorte zielgruppenspezifischer ausgewählt werden, um z. B. Jugendliche noch besser an „ihren“ Orten zu erreichen. Die Kombination passender kreativer Aktionen mit Erkenntnisgewinn, ist nach den Rüsselsheimer Erfahrungen weiterzuempfehlen. 

Neben den beschriebenen Erkenntnissen erhielt das Museum positive Resonanz von Kooperationspartner:innen und auch Multiplikator:innen aus bisher nicht erreichten Communitys. Der strategische Nutzen solcher Aktionen spielt also eine wichtige Rolle. Das Museum erzielte so eine hohe Sichtbarkeit in der Stadtgesellschaft, das Team präsentierte sich in der Öffentlichkeit und zeigte seine Offenheit gegenüber Bedürfnissen der Bevölkerung. Die Ergebnisse werden nun in Publikationen für eine Fachöffentlichkeit sowie auch für die Rüsselsheimer Bevölkerung veröffentlicht, z. B. in Social-Media-Posts.

Auch die Museumsmitarbeitenden – insbesondere, wenn diese am Stand eingesetzt waren – sind nach dem Projekt stärker sensibilisiert für die Sichtweisen und Interessen des potenziellen Museumspublikums und fühlen sich gleichzeitig bestärkt, den eingeschlagenen Weg auch in Zukunft weiterzuverfolgen.

Credits und Zusatzinfos: 

Fotos: Mareike Speidel

Empfohlene Zitierweise
Nora Wegner, Mareike Speidel, Nicolas Lange, Cornelia Röhlke: Dialog im Stadtraum: Neue Ansätze zur Bevölkerungsbeteiligung und Sichtbarkeit für das Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim, in: neues museum 25/1-2, www.doi.org/10.58865/13.14/2512/3.
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