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Den Wert von Museen neu denken
Von:
Sabine Doolin (QWB Lab), Wien
Stellen Sie sich einen Tag im Museum vor, Besucher:innen kommen und gehen und machen eine Reihe unterschiedlicher Erfahrungen. Was wird üblicherweise gemessen? Besucher:innenzahlen, Einnahmen, vielleicht die Anzahl der Vermittlungsprogramme. Doch ist das alles, was den Wert des Museums ausmacht? Wie sieht es mit den Auswirkungen auf Lebensqualität und Wohlergehen (Wellbeing) aus? Kann der Wert des Museums für die Besucher:innen und die Gesellschaft auch ganzheitlicher erfasst werden?
Ein Tag im Museum
Besucher:innen tummeln sich im Foyer. Einige sprechen mit den Ehrenamtlichen am Informationsstand über das heutige Programm. Viele sehen sich die neue Wechselausstellung an. Einige nehmen an einem Vortrag des Kurators teil. Familien sind in kreative Aktivitäten vertieft. Eine Schulklasse zieht mit einem Quiz-Fragebogen in Richtung Dauerausstellung.
Nachdem sie die Ausstellung genossen haben, stöbern viele Besucher:innen im Museumsshop und kaufen Postkarten, Bücher, Geschenke oder Spiele für Kinder. Einige stärken sich bei Kaffee und Mehlspeisen im Café und diskutieren über das Gesehene.
Am Abend findet eine After-Hours-Veranstaltung statt, die junge Leute ins Museum lockt. Sie knüpfen Kontakte, genießen Cocktails, die Musik eines DJ und die spezielle Atmosphäre des Museums am Abend. Einige nehmen an der Herstellung eines Magazins über die Herausforderungen der Jugend teil, die von Künstler:innen geleitet wird.
Was wird üblicherweise berichtet?
Es gab 500 Besucher:innen, davon je ein bestimmter Prozentsatz an Familien, jungen Leuten und Senior:innen. Ein bestimmter Betrag an Eintrittsgeldern, Shop- und Caféeinnahmen wurde erzielt. Drei Vermittlungsprogramme wurden gezählt.
Aber was ist noch passiert?
500 Menschen hatten ein Erlebnis.
Familien genossen einen sicheren und einladenden Platz außerhalb ihrer Wohnung und verbrachten wertvolle Zeit mit ihren Kindern.
Einige Besucher:innen lernten etwas Neues über Geschichte, Kunst, Natur oder Technik, dachten über die Vergangenheit nach oder wurden zum Nachdenken über die Zukunft angeregt. Einige wurden inspiriert, sich mehr mit einem Thema zu befassen. Einige junge Besucher:innen wurden ermutigt, selbst innovative Ideen zu entwickeln, oder begannen Inhalte als Berufsweg in Betracht zu ziehen.
Viele hatten eine gemeinsame Erfahrung mit Familie oder Freund:innen und konnten soziale Kontakte pflegen. Andere unterhielten sich mit Museumsmitarbeiter:innen oder anderen Besucher:innen, wodurch sich einige weniger einsam fühlten und ihre mentale Gesundheit verbessert wurde. Der Besuch des Museums stärkte die Verbundenheit der Menschen zu ihrem Wohnort. Einige haben sich mit einer anderen Kultur auseinandergesetzt.
Ehrenamtliche Mitarbeiter:innen arbeiteten an der Erhaltung von Objekten des Kulturerbes, fanden Sinn und soziale Interaktion darin, indem sie diese den Besucher:innen vorführten. Sie wendeten ihre Fähigkeiten an oder erlernten neue Fertigkeiten, die zur ihrer Lebenszufriedenheit oder Karriere beitrugen.
Manche Besucher:innen gingen zu Fuß zum und im Museum, einige zeichneten sogar ihre Schritte auf ihrem Schrittzähler auf und trugen auch zu ihrer körperlichen Gesundheit bei. Einige fanden Entspannung nach einer anstrengenden Arbeitswoche.
Viele gingen zufriedener nach Hause als sie gekommen waren und für die meisten blieb dieses Wohlbefinden über den Besuch hinaus erhalten. Die Ausstellung löste weitere Gespräche mit Familie, Freund:innen oder Kolleg:innen aus. Es wurden neue Erinnerungen geschaffen, und für einige können diese Erinnerungen sogar ein Leben lang anhalten.
Es wurde ein gesellschaftlicher Beitrag in vielen verschiedenen Dimensionen erzeugt – ein Wert, der weit darüber hinausgeht, was Besucherzahlen ausdrücken können.
Messung des Beitrags zum Wohlergehen
Museen haben einen für unsere Gesellschaft bedeutenden Wert. Doch wie können wir den besser sichtbar machen? Die Betrachtung und Messung des Beitrags von Museen zum Wellbeing – das man als Lebensqualität oder gesellschaftliches Wohlergehen beschreiben kann – ist ein neuer Ansatz zur besseren Sichtbarmachung dieses Wertes.
Wirtschaftswissenschaftler:innen und Regierungen auf der ganzen Welt sind dazu übergegangen, nicht mehr nur das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und die Wirtschaftsleistung als Maßstab für Fortschritt heranzuziehen. Wie Robert Kennedy schon 1968 in einer Rede sagte, „misst das BIP[...] alles [...] außer dem, was das Leben lebenswert macht” [1]. Die OECD empfiehlt ihren Mitgliedsländern ein Wellbeing-Rahmenwerk als Alternative zum BIP [2] und immer mehr Länder messen dieses Wellbeing der Bevölkerung. Einige Länder haben sich sogar dazu entschlossen eine Wellbeing Economy zu entwickeln [3].
Auf die gleiche Weise können – und sollten – wir den Beitrag von Museen zu den vielen Aspekten messen, die die Lebensqualität der Gesellschaft ausmachen und so ihren wirklichen Wert erschließen.
Möglich wird dies durch die Anwendung museumsspezifischer Indikatoren, die den Beitrag von Museen zu den zwölf Wellbeing-Dimensionen messen. Dazu werden Daten verwendet, die einzelnen Museen bereits vorliegen, oder neue Daten aus Besucher:innenumfragen und anderen Quellen.
Was abstrakt klingt, kann in Beispielen praktisch als gesellschaftlicher Wert illustriert werden: Die inspirierende und öffentlich zugängliche Architektur bietet zusätzlichen Räume in Städten, wo die Wohnverhältnisse zunehmend teurer und beengter werden. Museumsbesuche können die Gesundheit und soziale Kontakte fördern und über Social Prescribing [4] sogar ärztlich verschrieben werden. Mit Ausstellungen und Vermittlungsprogrammen informieren und inspirieren Museen Besucher:innen über aktuelle Themen und tragen zu Umwelt, Zivilengagement oder Gemeinsinn bei. Dies kann mit Daten erfasst werden.
So wird der Tag im Museum in einen ganzheitlichen Wert übersetzt, den man intern und extern kommunizieren und diskutieren kann, um ein neues Bewusstsein für den Wert von Museen in der Öffentlichkeit, bei derzeitigen und potenziellen Besucher:innen sowie bei Förderern und Stakeholdern zu schaffen, und um diesen Wellbeing-Beitrag weiterzuentwickeln.
Den Wert von Museen neu denken: Der Architekt Le Corbusier beschrieb ein Haus einmal als „eine Maschine zum Wohnen“. Vielleicht können wir Museen in Zukunft als Inkubatoren von Wellbeing sehen, die negative externe Effekte und Stressfaktoren ausgleichen und positive Impulse setzen? [5]
Credits und Zusatzinfos:
Fußnoten:
[1] Tim Jackson, <i>Everything, in short, except that which makes life worthwhile</i>, 2018, cusp.ac.uk/themes/aetw/rfk-gdp50/ (3.8.2024)
[2] OECD, Measuring well-being and progress, www.oecd.org/en/topics/sub-issues/measuring-well-being-and-progress.html (3.8.2024)
[3] Wellbeing Economy Government, weall.org/wego (3.8.2024)
[4] Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, <i>Etablierung von Social Prescribing</i>, www.goeg.at/socialprescribing (3.8.2024)
[5] Robert M. Sadleir, „Unlocking Value in Museums and Art Galleries through Measuring Wellbeing“, in: <i>The Brain-Friendly Museum</i>, London 2022, www.taylorfrancis.com/chapters/edit/10.4324/9781003304531-11/unlocking-value-museums-art-galleries-measuring-wellbeing-robert-sadleir (3.8.2024)
Empfohlene Zitierweise
Fußnoten:
[1] Tim Jackson, <i>Everything, in short, except that which makes life worthwhile</i>, 2018, cusp.ac.uk/themes/aetw/rfk-gdp50/ (3.8.2024)
[2] OECD, Measuring well-being and progress, www.oecd.org/en/topics/sub-issues/measuring-well-being-and-progress.html (3.8.2024)
[3] Wellbeing Economy Government, weall.org/wego (3.8.2024)
[4] Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, <i>Etablierung von Social Prescribing</i>, www.goeg.at/socialprescribing (3.8.2024)
[5] Robert M. Sadleir, „Unlocking Value in Museums and Art Galleries through Measuring Wellbeing“, in: <i>The Brain-Friendly Museum</i>, London 2022, www.taylorfrancis.com/chapters/edit/10.4324/9781003304531-11/unlocking-value-museums-art-galleries-measuring-wellbeing-robert-sadleir (3.8.2024)
Empfohlene Zitierweise
Sabine Doolin: Den Wert von Museen neu denken, in: neues museum 24/4, www.doi.org/10.58865/13.14/244/3.
Zu Foto Christchurch Art Gallery Trust, 2014:
Bill Culbert Bebop 2013, Furniture, fluorescent tubes, electrical components, wire, sheet glass. Collection of Christchurch Art Gallery Te Puna o Waiwhetū, purchased with assistance from Gabrielle Tasman and the Christchurch Art Gallery Trust, 2014
Zu Foto Christchurch Art Gallery Trust, 2014:
Bill Culbert Bebop 2013, Furniture, fluorescent tubes, electrical components, wire, sheet glass. Collection of Christchurch Art Gallery Te Puna o Waiwhetū, purchased with assistance from Gabrielle Tasman and the Christchurch Art Gallery Trust, 2014