Foto: Y. Arras
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Heimatmuseen ohne Dauerausstellung
Oder: Wie stellt man „Heimat“ aus?

Dem Heimatbegriff wird zurzeit eine erstaunliche Aufmerksamkeit geschenkt. Als ich im Jahr 2019 auf dem Deutschen Kunsthistorikerkongress Über die Crux der Heimatmuseen, ‚Heimat‘ zu kommunizieren [1] – so der Titel des Beitrags – sprach, sendeten deutsche Fernsehsender Themenwochen, druckten Zeitungen Sonderausgaben zum Thema „Heimat“, organisierten Universitäten Ringvorlesungen, deren Programm multiperspektivische Vorträge über das Problem der Ortsbezogenheit von „Heimat“, über Heimaten im Regenwald oder über Flucht und Vertreibung handelten und wetteiferten Regierungspersönlichkeiten und Prominente in Diskussionsrunden über die Förderung heimatlicher Dialekte und das, was Heimat eigentlich sei. Und in Deutschland haben sich Heimatministerien nach anfänglichem Zögern etabliert, Heimatförderprogramme laufen nach wie vor, auf Bundesebene ist die Abteilung Heimat des Bundesministerium des Innern und für Heimat sogar für politische Bildung und Extremismusprävention verantwortlich. Heimat liegt nicht nur im Trend, der Begriff hat im Alltag der Bürger Wurzeln geschlagen.
 
Hervorragende Voraussetzungen für jene Museumsgattung, die diesem Bedürfnis eigentlich per se beikommen möchte: Für Heimatmuseen. Sollte man meinen, denn: „Wer sonst, wenn nicht das Heimatmuseum, kann je nach Region, je nach Organisation, je nach Gründungsumständen ‚objektiv‘ zeigen, was man unter der jeweiligen Heimat in ihrer kulturgeschichtlichen und historischen Dimension zu verstehen hat?“ [2] 
 
Aber wer geht in ein Heimatmuseum oder verweist auf dessen Expertise, wenn er erfahren möchte, was Heimat ist, in welche emotionalen und lebensweltlichen Schichten sich das Gefühl „Heimat“ erstreckt? Wie oft im öffentlichen Diskurs über den Heimatbegriff fällt das Stichwort Heimatmuseum? Wer bekommt den Rat, ein Heimatmuseum zu besuchen, um sich über Heimat generell oder über eine ganz spezifische Heimat zu informieren? Heimatmuseen werden im Allgemeinen mit dem Anspruch, den sie im Namen tragen, kaum je in Verbindung gebracht. Warum ist das so? Oder anders gefragt: Was muss sich am Konzept von Heimatmuseen ändern, damit sie – und auch gerade ihre primären Kompetenzen – in der breiten Bürgerschaft, das heißt durch das potenzielle Publikum, eher wahrgenommen werden?
 
Die Wissenschaft beschäftigt sich immer wieder mit dem Phänomen Heimatmuseum. Obgleich sie die zahlenmäßig mit Abstand am weitesten verbreitete Museumsgattung ist – so sind in Deutschland fast die Hälfte aller Museen Heimatmuseen, in Baden-Württemberg liegt der Prozentsatz noch ein wenig höher – blickt die Museologie zwar oft eher liebäugelnd auf diese Einrichtungen. Mehr Aufmerksamkeit erfahren Heimatmuseen von Seiten der Kulturwissenschaft. Herausragend sind hier die Beiträge von Gottfried Korff [3], Martin Roth [4] und Thomas Thiemeyer [5]. Mathias Beer legte 2006 aus Anlass des Jubiläums „30 Jahre Haus der Heimat in Baden-Württemberg“ eine Charakterisierung von Heimatmuseen vor. [6] 2011 lancierte das Institut für Materielle Kultur der Universität Oldenburg sodann ein Projekt zum Thema „Neue Heimatmuseen als Institutionen der Wissensproduktion“. [7] Und hervorzuheben ist schließlich die Sonderausgabe der Zeitschrift „neues.museum. die österreichische Museumszeitschrift“ vom Herbst 2013. Unter dem Thema „Heimatmuseum 2015“ beleuchteten Fachleute „Herausforderungen und Ansprüche für eine zeitgemäße Konzeption von Regionalmuseen“, so die Beschreibung des Programms der Ausgabe. Wolfram Dornik steuerte hierfür einen luziden Beitrag über „Aktuelle Herausforderungen in der Konzeption regionaler Museen“ bei. [8] 
 
Nach wie vor beobachtet man bei all dem die Tendenz, die spezifischen Charakteristika von Museen im Allgemeinen und von Heimatmuseen im Speziellen beizubehalten. Das heißt: In wissenschaftlichen Darstellungen und Praxisbeispielen steht es bislang meist außer Frage, am Konzept der Dauerausstellung festzuhalten und in gewissen Intervallen mit Wechselausstellungen gezielt Highlights zu setzen. Oft wird betont, dass man die Alleinstellungsmerkmale regionaler Museen eigens hervorheben und aufwerten müsse. Dazu gehören beispielsweise Eigenschaften wie „Nähe“ und „Gemütlichkeit“. [9] Denn Heimatmuseen sind meistens in jahrhundertealten Häusern oder Scheunen untergebracht, die unter Denkmalschutz stehen. Sie entsprechen deshalb in der Regel nicht gängigen Museumsstandards. Daher versprühen solche Einrichtungen einen besonders heimeligen Charme – ein Wesenszug, welcher großen Museen und Ausstellungshäusern völlig fehlt. 
 
Diese Empfehlungen haben zweifellos ihre Berechtigung. Ich halte es ebenso für ratsam, die charakteristischen, eigentümlichen Merkmale regionaler Museen herauszustellen, um sich gegenüber Mainstream-Institutionen deutlich abzugrenzen. Heimatmuseum sollen ihre Markenzeichen unbedingt zu Markte tragen. Ich möchte aber zu bedenken geben, ob man mit dem Ratschlag, auf die Eigenarten seiner Einrichtung zu pochen, nicht Gefahr läuft, im Status quo zu verharren.
 
In Baden-Württemberg ist seit kurzem die Tendenz zu beachten, wonach „zahlreiche der kleinen Museen derzeit die Frage nach ihrer Position innerhalb der musealen Landschaft umtreibt.“ [10] Es hat bisweilen den Anschein, dass viele Heimatmuseen in einer Art „Sinnkrise“ stecken. Ein Umdenken, das Finden fortschrittlicher Museums- und Vermittlungskonzepte kann ein wichtiger Baustein dafür sein, um sich aus diesem Ringen nach einem Platz im Reigen der Museen zu befreien. 
 
Vor diesem Hintergrund habe ich im Museum Zehntscheuer Balingen, das ich zwischen 2017 und 2023 leitete, ein innovatives Museumskonzept etabliert, nachdem die Dauerausstellung bis dahin 30 Jahre unverändert beibehalten worden war. Sein Kern bestand darin, auf die klassische Dauerausstellung zur Balinger Heimatgeschichte zu verzichten. Sogenannte „Karussellausstellungen“ sollten sie ablösen. Dieser Begriff ist dabei nicht als Titel einer Sonderausstellung zu verstehen. Er bezeichnet einen neuen Ausstellungstyp. Sein Spezifikum besteht darin, eine Art Zwischending zwischen Dauer- und Wechselausstellung zu sein. Jede Karussellausstellung orientiert sich dabei an einem bestimmten Jahresthema und dauert aus diesem Grund ein Jahr. Sie läuft parallel zum Ausstellungsjahr des Museums. Das heißt, das Museum erhielt fortan jedes Jahr ein neues Leitthema, mithin eine neue Hauptausstellung. Dieser thematischen Vorgabe unterliegen darüber hinaus alle Veranstaltungsarten des Hauses, sodass die neue Konzeption in sich geschlossen erscheint. Der Vorteil von diesem neuen Ausstellungstypen besteht darin, dass er nicht statisch ist. Man hat die Möglichkeit, Ausstellungsdesign und -technik, die Gestaltung, die inhaltliche Darbietung, mithin die Rezeptionsbedingungen dem Wandel der Zeit und veränderten Ansprüchen des Publikums anzupassen. Essenziell am neuen Museumskonzept – und diesen Punkt halte ich für grundlegend – ist eine ausgefeilte Marketingstrategie. Wenn ein Heimatmuseum als Ziel seiner Bemühungen formuliert, innerhalb des Museumslandschaft gesehen und als seriöses Mitglied wahrgenommen zu werden, bedarf es aus meiner Sicht unbedingt einer ernsthaften Vermarktungsstrategie. Diese bildete deshalb auch einen elementaren Bestandteil meines Konzeptes für die Zehntscheuer Balingen. Dazu gehört das gesamte Programm angefangen von einem professionellen Corporate Identity bis hin zur Bespielung von Kanälen, die Zielgruppen unterschiedlichen Alters erreichen. 

Als Richtlinie lag dem neuen Konzept, das in seiner Wesensart auf die herkömmliche Dauerausstellung zur Heimatgeschichte verzichtet, aber immer zugrunde, stets das Bewusstsein zu wahren, dass das Haus der Gattung der Heimatmuseen angehört.

Credits und Zusatzinfos: 
Credits

Zu Abbildung 1: Pop-up-Heimatmuseum Vöhringen (B.-W.). Im Jahr 2022 wollte eine Gruppe engagierter Bürger:innen ein Heimatmuseum eröffnen und orientierte sich dabei an altbekannten Stereotypen. 
Zu Abbildung 2: Impression des Heimatmuseums Oberndorf (Stand 2022). Dieses Beispiel weist alle Elemente auf, die ein „klassisches“ Heimatmuseum besitzt.
Zu Abbildung 3: Das Museum Zehntscheuer Balingen blieb über mehr als 30 Jahre hinweg im selben Zustand. 
 

Anmerkungen:
[1] Der Beitrag wurde anschließend in der Zeitschrift der Landesstelle für Museumsbetreuung Baden-Württemberg veröffentlicht: Yvonne Arras, Heimatlust – Vermittlungsfrust. Über die Crux der Heimatmuseen, „Heimat“ zu kommunizieren, in: museums.brief 1 (2019), S. 1–3.
[2] Vgl. ebd., S. 1.
[3] Vgl. Gottfried Korff: Museumsdinge: deponieren – exponieren, hg. von Martina Eberspächer, Gudrun Marlene König, Bernhard Tschofen, Köln/Weimar/Wien 2002.
[4] Martin Roth: Heimatmuseum. Zur Geschichte einer deutschen Institution, Berlin 1990 (Berliner Schriften zur Museumskunde 7).
[5] Vgl. u. a. Thomas Thiemeyer: Die Provinzialisierung der Heimat, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 3 (2018), S. 69–78.
[6] Mathias Beer: Heimatmuseum. Eine Bestandsaufnahme, in: Heimat. Annäherungsversuche, hrsg. v. Haus der Heimat Baden-Württemberg, Stuttgart 2007, S. 54–62.
[7] Vgl. dazu die Studie: Beate Bollmann: Qualitäten kleiner (Heimat-)Museen. Ein Leitfaden, Münster 2017 (Neue Heimatmuseen 4).
[8] Wolfram Dornik: Heimat.Museum reloaded! Aktuelle Herausforderungen in der Konzeption regionaler Museen, in: neues.museum. die österreichische museumszeitschrift 13/2, S. 8–12.
[9] Das betont besonders Beate Bollman, vgl. Bollmann, Qualitäten, 2017 (wie Anm. 7), S. 24f.
[10] Zitiert aus Arras, Heimatlust (wie Anm. 1), S. 2.
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